Ciñcā beschuldigt den Buddha
Vor kurzem erhielt ich von einer katholischen Akademie die Einladung zu einer Tagung zum Thema „Buddhas weibliche Seite“. Eine ganze Reihe von Fragestellungen werden im Einladungsschreiben aufgeführt, die allesamt dem komplexen Begriffsfeld Diskriminierung, Gleichberechtigung und Emanzipation entspringen und vielerlei Gedankenszenarien und Bewertungscluster hervorzurufen scheinen. Diese Form der Herangehensweise sind wir in großen Zügen auch gewohnt, ist es doch der modus ponens, den wir als Gesellschaftsmenschen bereits durch unsere Erziehung mitbringen oder im Fall von mangelnder Persönlichkeitsentwicklung individuell nachzuholen haben. Es ist ein karmisch bedingter Zugang zur Welt, ein sich Erschließen der Umwelt auf Grundlage eines definierten Codes der Wertigkeiten und Einstufungen, das letztendlich ein Ziel haben soll – das Erreichen einer allgemeinen Glückseligkeit innerhalb einer schönen neuen Welt, buddhistisch gesagt, das „Happy Samsara“. Daß es aber einen solchen Himmel auf Erden nicht geben kann und selbst die himmlischen Daseinsebenen nicht frei von leidvollen Zuständen oder gar der Unbeständigkeit enthoben sein könnten, zeigte der Buddha in seinen 45 langen Lehrjahren immer wieder allen seinen Zuhörern geduldig auf. Aus seinen Unterweisungen und öffentlichen Lehrvorträgen wird unmißverständlich klar, daß der Erwachte keine weibliche Seite, auch keine männliche Seite oder überhaupt eine Seite hatte. Der Buddha, er war ein Wesen ohne Ecken und Kanten und somit ohne Seiten. Deswegen wird er auch als der Tathagata, ein Sogekommener und Sogegangener, gepriesen und es ist eben diese Unabhängigkeit und völlige Emanzipation aus dem geschlechtsbefangenen Denken ein Teil der Beschaffenheit eines solch erhabenen Wesens, welches die Drei Welten restlos überwunden hat. Der Buddha bezeichnet dieses Verstricktsein in die Identifikation mit der auf Körperlichkeit basierten Geschlechtlichkeit als eine Form der Anschauung die beim Weltenmenschen zu finden und zu überwinden sei. Er benennt eben dieses Phänomen der Identifikation mit dem Körperlichen als einen Anspekt von sakkāya-ditthi. Körperlich war der historische Buddha Gotama männlichen Geschlechts, wie nach kanonischer Schrift ausnahmslos auch alle anderen Buddhas. Ob Lebewesen als Männer oder Frauen in diesem Leben erscheinen, hat seine karmische Bewandtnis, ist zwangsläufig durch vorherliegende Leben bedingt und obliegt unumstößlichen Weltgesetzmäßigkeiten. Die in der Tagungsbeschreibung angekündigte Frage, wie sich wohl Buddhismus und Emanzipation vertragen würde, ist nicht schwer zu beantworten – war es doch der Erwachte der die Emanzipation an sich er-„funden“ hat! Die Emanzipation aus dem existentiellen Unwissen, aus dem wogenden Daseinsozean von Attraktion (Gier) und Aversion (Haß) und aus der leidigen „Not!“-wendigkeit als Mann oder Frau in einer letztlich stets unbefriedigenden Welt erscheinen zu müssen. Wenn man den ursprünglichen Buddhismus, also den Buddhadhamma, ernst nimmt, erkennt man, daß was „der Buddhismus“ nach der ersten Ordensspaltung bis heute so alles hervorgebracht hat, weder auf eine Stierhaut noch auf eine Kuhhaut paßt.
Bhikkhu Thitadhammo
Textstellen aus den Lehrreden:
1. „Was sollte das Weibsein bedeuten, wenn das Denken gut gesammelt ist,
Wenn das Wissen vorhanden ist bei einem, der die höchste Wahrheit schaut?
Wer daran denkt: bin ich eine Frau oder bin ich ein Mann,
Oder bin ich überhaupt etwas? – zu dem darf Māra sprechen.“
(S.5.2. Somā Sutta)
2. Die Lehre von der Verbindung und Lösung will ich euch weisen, ihr Mönche. Das Weib, ihr Mönche, hat bei sich den Sinn auf Weiblichkeit gerichtet, auf weibliche Beschäftigung, weibliches Benehmen, weibliche Eitelkeit, weibliche Neigungen weibliche Stimme und weiblichen Schmuck. Daran Genuß und Gefallen findend richtet sie nach außen hin den Sinn auf Männlichkeit, auf männliche Beschäftigung, männliches Benehmen, männliche Eitelkeit, männliche Neigungen, männliche Stimme und männlichen Schmuck. Daran aber Genuß und Gefallen findend, sucht sie nach außen hin Verbindung. Und was da infolge der Verbindung an Freude und Fröhlichkeit entsteht, auch das sucht sie. Die an ihrer Weiblichkeit entzückten Wesen, ihr Mönche, sind an die Männer gefesselt. Auf diese Weise kommt das Weib über ihre Weiblichkeit nicht hinweg.
Der Mann, ihr Mönche, hat bei sich den Sinn auf Männlichkeit gerichtet, auf männliche Beschäftigung, männliches Benehmen, männliche Eitelkeit, männliche Neigungen, männliche Stimme und männlichen Schmuck. Daran Genuß und Gefallen findend, richtet er nach außen den Sinn auf Weiblichkeit, auf weibliche Beschäftigung, weibliches Benehmen, weibliche Eitelkeit, weibliche Neigungen, weibliche Stimme und weiblichen Schmuck. Daran aber Genuß und Gefallen findend, sucht er nach außen hin Verbindung. Und was da infolge der Verbindung an Freude und Fröhlichkeit entsteht, auch das sucht er. Die an ihrer Männlichkeit entzückten Wesen, ihr Mönche, sind an die Weiber gefesselt. Auf diese Weise kommt der Mann nicht über seine Männlichkeit hinweg.
So, ihr Mönche, kommt es zur Verbindung. Wie aber, ihr Mönche, kommt es zur Lösung?
Da, ihr Mönche, hat das Weib bei sich den Sinn nicht auf Weiblichkeit gerichtet, nicht auf weibliche Beschäftigung, weibliches Benehmen, weibliche Eitelkeit, weibliche Neigungen, weibliche Stimme und weiblichen Schmuck. Daran keinen Genuß und Gefallen findend, richtet es nach außen hin seinen Sinn nicht auf Männlichkeit, auf männliche Beschäftigung, männliches Benehmen, männliche Eitelkeit, männliche Neigungen, männliche Stimme und männlichen Schmuck. Daran keinen Genuß und Gefallen findend, sucht es nach außen hin keine Verbindung. Und was da infolge der Verbindung an Freude und Fröhlichkeit entsteht, auch das sucht es nicht. Die an ihrer Weiblichkeit nicht entzückten Wesen haben sich von den Männern gelöst. Auf diese Weise, ihr Mönche, kommt das Weib über seine Weiblichkeit hinweg.
Da, ihr Mönche, hat der Mann bei sich den Sinn nicht auf Männlichkeit gerichtet, nicht auf männliche Beschäftigung, männliches Benehmen, männliche Eitelkeit, männliche Neigungen, männliche Stimme und männlichen Schmuck. Daran keinen Genuß und Gefallen findend, richtet er nach außen hin seinen Sinn nicht auf Weiblichkeit, auf weibliche Beschäftigung, weibliches Benehmen, weibliche Eitelkeit, weibliche Neigungen, weibliche Stimme und weiblichen Schmuck. Daran keinen Genuß und Gefallen findend, sucht er nach außen hin keine Verbindung. Und was da infolge der Verbindung an Freude und Fröhlichkeit entsteht, auch das sucht er nicht. Die an ihrer Männlichkeit nicht entzückten Wesen haben sich von den Weibern gelöst. Auf diese Weise, ihr Mönche, kommt der Mann über seine Männlichkeit hinweg.
So, ihr Mönche, kommt es zur Lösung. Das, ihr Mönche, ist die Lehre von der Verbindung und Lösung. (A.VII. 48 Verbindung und Lösung)
3. „Männlicher Sinn und weibliches Wesen“ in: Buddhasasana, 2012-4, S. 17 – 21
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